"Barrierefrei" - Zusagen des Bauunternehmers beim Wohnungsbau.
Senioren werden immer älter. Mit fortschreitendem Alter sind auch Mobilitätseinschränkungen nicht zu vermeiden. Von der Politik unterstützt und gefördert und in vielen Fällen auch von den Bauherren gewünscht ist daher, dass dieser demografischen Veränderung in unserer Gesellschaft Rechnung getragen wird, insbesondere Wohnungen barrierefrei und damit behindertengerecht errichtet werden.
Die allgemeinen Regeln der Baukunst oder andere DIN-Normen verlangen grundsätzlich kein behindertengerechtes Bauen. Dem Bauherrn ist aber nach § 633 Absatz 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausdrücklich eingeräumt, eine bestimmte Beschaffenheit des Bauwerks zu vereinbaren. Er kann sich einzelne Eigenschaften des Bauobjekts zusichern lassen, wie Baumaterial oder den Energieverbrauch und zwar ohne Rücksicht auf den allgemeinen Qualitätsstandard, wie er sonst bei einem Bauvorhaben üblich ist.
Die bautechnische Beschreibung für barrierefreie Wohnungen finden wir in der DIN 18025. Deren Teil 1 befasst sich mit der notwendigen Ausstattung bei Wohnungen für Rollstuhlbesitzer, der Teil 2 allgemein mit barrierefreien Wohnungen. So wird zum Beispiel gefordert, dass vor Türen, Aufzügen und Treppen eine Bewegungsfläche von 1,5 m in der Breite und Tiefe vorzusehen ist. Türen innerhalb der Wohnung müssen eine lichte Breite von mindestens 80 cm haben, Haus- und Wohnungseingangstüren von 90 cm.
Wünscht der Bauherr eine behindertengerechte Wohnung, muss er dies in den Werkvertrag oder in die Baubeschreibung aufnehmen. Durch die Verwendung des Begriffs „behindertengerecht“ kann der Bauherr die Beschaffenheit erzielen, die das Bauvorhaben barrierefrei und behindertengerecht gemäß der DIN-Norm 18025 macht.
Mit einem solchen Fall musste sich das Oberlandesgericht Koblenz im Urteil vom 25. Februar 2011 befassen. Der Bauherr hatte für den Auftraggeber Neubauwohnungen errichtet und dabei in einem Prospekt mit einer „seniorengerechten Bauweise“ geworben. Als er den restlichen Werklohn vom Bauherrn haben wollte, zahlte dieser nicht. Er berief sich auf sein Recht zur Minderung des Werklohns, die Wohnungen seien nicht wie vereinbart „seniorengerecht“ errichtet worden. Er bemängelte eine Austrittsstufe zu den Balkonen, fehlende Haltegriffe im Bad und fehlende Glastrennwände bei den Duschen.
Das Gericht gab aber dem Bauunternehmer recht. Dieser schulde dem Bauherrn weder einen stufenfreien Austritt zur Dachterrasse noch Haltegriffe an der Dusche. Auch außerhalb eines schriftlichen Vertrages könnten zwar in Prospekten oder sonstigen Werbematerialien Versprechen gemacht werden, die möglicherweise Vertragsinhalt werden. Als Beschaffenheitsvereinbarung könnten dabei jedoch nur solche Angaben angesehen werden, aus denen sich auch eine bestimmte Ausstattung entnehmen lasse. Es gäbe aber kein allgemeines Verständnis dafür, welche bestimmten Baumaßnahmen vorgenommen werden müssten, damit ein Objekt „seniorengerecht“ gebaut werde.
Nicht jeder Senior sei aufgrund seines fortgeschrittenen Alters als körperlich behindert anzusehen und zum Beispiel auf einen Rollstuhl angewiesen. Daher sei die Zusage eines „seniorengerechten“ Bauens lediglich eine werbemäßige Anpreisung ohne konkreten Inhalt hinsichtlich der Beschaffenheit und damit verbundener, bestimmter Ausstattung.
Fazit: Mit dieser Entscheidung verliert bei einem Kauf- oder Werkvertrag künftig der Begriff „seniorengerecht“ jede Bedeutung für den Käufer. Seriöse Verkäufer und Bauträger sollten daher diesen Begriff nicht verwenden.
Einem Käufer oder Bauherrn ist anzuraten, sich die Beschaffenheitszusage eines „behindertengerechten“ Bauens machen zu lassen und die DIN-Norm 18025 aufzunehmen. Im Bauvertrag selbst oder in der Baubeschreibung sollten im Detail auch die Ausstattungsmerkmale enthalten sein, die sich der Bauherr oder Käufer im Einzelnen wünscht.