Grundstückspreise und Mieten klettern in Bayern weiter – müssen die Einheimischen „auswandern“?
Unser Grundgesetz garantiert in Artikel 11 allen Deutschen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Jeder darf Aufenthalt, Arbeitsplatz und Wohnsitz frei wählen. Gleiche Rechte genießen inzwischen auch die anderen EU-Bürger.
Der Freistaat Bayern, insbesondere Oberbayern, steht bei der Wohnsitz- und Arbeitsplatzwahl besonders im Fokus. Hightec und Lederhose, also industrieller Fortschritt und Tradition, sind ebenso wie unsere Landschaft und unsere Sehenswürdigkeiten (z.B. die Königsschlösser) ein besonderer Anreiz. Nach einer Statistik des Bayerischen Landesamtes wird die Bevölkerung in Bayern bis zum Jahr 2023 um mehr als 10 % wachsen, in einigen Landkreisen südlich von München sogar um 15 %. Die Zuwanderer kommen zu einem Drittel aus anderen Bundesländern, zu zwei Dritteln aus dem Ausland.
Privateigentum, auch an Grund und Boden, ist ein wesentlicher Grundpfeiler unseres marktwirtschaftlichen Systems. Die Preise für Grundstücke und Eigentumswohnungen orientieren sich an der Nachfrage, gleiches gilt für die Mieten im freien Wohnungsmarkt.
Im „Speckgürtel“ um München herum gibt es im Neubaubereich kaum mehr Einfamilienhäuser unter 900.000 Euro, der Quadratmeter für eine Eigentumswohnung wird inzwischen mit 5.000 – 6.000 Euro gehandelt. Neubaumieten von 12 bis 15 Euro kalt für den Quadratmeter sind heutzutage üblich, selbst für Bestandsbauten müssen monatlich 9 Euro oder mehr für den Quadratmeter bezahlt werden.
Um die steigende Nachfrage nach Wohnraum zu befriedigen, müsste mehr Wohnraum geschaffen werden. Dadurch würde sich das Angebot verbessern, die Nachfrage könnte befriedigt werden. Dies würde den Anstieg der Grundstückspreise ebenso bremsen wie das Niveau der Mieten.
Die Schaffung von Wohnraum entspricht auch der gesetzlichen Aufgabe der Gemeinden. Jeder Bewohner Bayerns hat nach Art. 106 der Bayerischen Verfassung Anspruch auf eine angemes-sene Wohnung; der Bau billiger Volkswohnungen ist Aufgabe der Gemeinden. Auf der anderen Seite sind die Gemeinden aber dem Natur- und Umweltschutz verantwortlich und dürfen nicht beliebig neue Flächen als Bauland ausweisen.
Die Bayerischen Staatsministerien für Umwelt und Gesundheit und des Inneren haben die bayerischen Landratsämter als Baugenehmigungsbehörden schon im Jahr 2009 ausdrücklich zum Flächensparen aufgefordert. Vorrangig sollen vorhandene Potentiale genutzt werden, insbesondere leerstehende Bausubstanzen wieder bezugsfähig gemacht und bei den einzelnen Grundstücken durch Nachverdichtung weiterer Wohnraum geschaffen werden.
So müssen die Kommunen künftig ihren Flächenbedarf konkret nachvollziehbar darlegen und erst vorhandene Reserveflächen nutzen, bevor sie neue Siedlungsgebiete ausweisen.
Den Gemeinden verbleibt nur in geringem Umfang die Möglichkeit, neuen Wohnraum zu schaffen. Dieser wird dann wieder auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten. Aufgrund der weiterhin ungebremsten Nachfrage kommt die Preisspirale nicht zum Stehen.
Die Preisentwicklung der Grundstücke, Eigentumswohnungen und Mieten kann also durch das den Gemeinden zur Verfügung stehende gesetzliche Instrumentarium nicht gebremst werden. Die Folge ist, dass viele sich das Wohnen in ihren Heimatgemeinden nicht mehr leisten können und wegziehen müssen. Das gilt vor allem für Jugendliche, die das Elternhaus verlassen und sich eine eigene Wohnung zulegen wollen, sowie für junge Familien, die sich eine Drei- oder Vierzimmerwohnung nicht leisten können.
Wie dramatisch diese Entwicklung ist, kann am Beispiel meiner Heimatgemeinde Herrsching dargestellt werden. So gab es im Jahr 1997 noch 2.851 Bewohner zwischen 20 und 40 Jahren, im Jahr 2010 nur noch 1.999. Für die Gemeinde ist diese Bevölkerungsgruppe besonders wichtig. Aus ihr rekrutieren sich Unternehmer und Mitarbeiter in Gewerbe, Handel und Dienstleistungsbetrieben. Sie gründen Familien und stützen das Vereinsleben. Nicht umsonst gibt es erhebliche Nachwuchsprobleme, z.B. bei der Freiwilligen Feuerwehr.
Es war in der Vergangenheit ein bewährtes Mittel zur Wohnraumbeschaffung. Die Problematik, für die einheimische Bevölkerung bezahlbaren Baugrund und günstigere Mieten zu schaffen, ist nicht neu. Auch in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts gab es im bayerischen Oberland nur wenig günstigen Baugrund und die Mieten waren bereits überdurchschnittlich hoch. Initiatoren der Einheimischenmodelle waren die Baujuristen der Landratsämter, weshalb diese Modelle auch „Weilheimer Modell“ und „Traunsteiner Modell“ hießen. Damals kostete der Baugrund erschlossen zwischen 280 und 350 Mark, das entspricht etwa 140 bis 175 Euro. Inzwischen ist das Drei- bis Vierfache die Regel.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte noch 1971 die Ziele einer Bauleitplanung als rechtmäßig betrachtet, wenn die Sicherung von Baugrund für Ortsansässige Hintergrund für eine günstige Baugrundausweisung war.
Deshalb wurde auch schon vor 40 Jahren von den Kommunen das Einheimischenmodell forciert. Vor der Aufstellung eines Bebauungsplans wurden Verträge mit den Grundstückseigentümern geschlossen, durch die Ortsansässige deutlich unter dem Verkehrswert Bauland erwerben konnten. Dazu mussten sich die Grundstückseigentümer für den Fall der Bebaubarkeit ihrer Grundstücke verpflichten. Alternativ war es auch möglich, dass die Gemeinde Teile einer solchen Fläche erwarb, um sie selbst an Einheimische weiter veräußern zu können.
Die Modelle sind von der Europäischen Kommission als klarer Verstoß gegen EU-Recht eingestuft worden. Vergünstigungen würden nur denjenigen zugute kommen, die schon längere Zeit in der jeweiligen Gemeinde wohnen, nicht jedoch anderen EU-Bürgern. Dies verstoße gegen das Gebot der Niederlassungsfreiheit und der Freizügigkeit.
Die EU-Kommission stellt sich damit ausdrücklich gegen deutsches Recht, nachdem in § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Baugesetzbuch die Deckung des Wohnbedarfs von Bevölkerungsgruppen mit besonderen Wohnraumversorgungsproblemen und der Wohnbedarf der ortsansässigen Bevölkerung Gegenstand eines städtebaulichen Vertrages sein darf.
Im Jahr 2007 wurde wegen eines Einheimischenmodells nahe der holländischen Grenze (Selfkant in Nordrhein-Westfalen) ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Dieses wurde nach Einwendungen Deutschlands zunächst nicht betrieben. Im Juni 2010 wurde dieses Verfahren von der EU-Kommission aber förmlich fortgeführt und auf vier bayerische Gemeinden (Bernried, Seeshaupt, Weilheim, Voburg an der Donau) ausgedehnt.
Skeptiker, die die Wohnraumbeschaffung für Einheimische über ein entsprechendes Modell schon als undurchführbar abgehakt hatten, wurden glücklicherweise eines Besseren belehrt.
Am 8.5.2013 hat sich auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) zum Vorlagebeschluss der belgischen Anfrage erklärt.
Grundsätzlich sieht der EuGH derartige staatliche Regelungen als Eingriffe in die Grundfreiheiten der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Er lässt aber ein „Hintertürchen“ insoweit offen, als im Zusammenhang mit der Sozialwohnungspolitik eines Mitgliedsstaates zwingende Gründe des Allgemeininteresses eine solche Bevorzugung von Einheimischen rechtfertigen können.
Allerdings lehnt es der EuGH rigoros ab, günstiges Bauland nur deshalb an Personen abzugeben, weil diese schon längere Zeit ihren Wohnort in der Gemeinde haben oder sonst für die Gemeinschaft wichtige Funktionen in der Gemeinde ausüben.
Solche Modelle würden gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen. Personen, die die finanziellen Möglichkeiten haben, am freien Markt angemessenen Wohnraum zu finden, dürften nicht in den Genuss günstigen Baugrunds oder herabgesetzter Mieten kommen.
Grundsätzlich will der EuGH aber künftig Einheimischenmodellen zustimmen, wenn ein bestimmter Rahmen festgelegt wird, der die äußeren Grenzen der Zugangsberechtigung beschreibt.
Es darf bei der Vergabe von Bauland zu vergünstigten Konditionen aber zu keinerlei ungerechtfertigten Beschränkungen für bestimmte Personen kommen, also nicht zu einem faktischen Verkaufsverbot. Ziel eines Einheimischenmodells muss es sein, junge Familien, die in der Regel nicht zu den einkommenstärksten Personengruppen gehören, die Möglichkeit zu bieten, an ihrem Heimatort ansässig zu bleiben und Bauland zu erwerben.
Dr. Angelika Niebler hat als Mitglied des Europäischen Parlaments im September 2013 von der EU-Kommission die Mitteilung erhalten, dass nicht die Absicht bestehe, Leitlinien oder Kriterien für die Ausgestaltung der Einheimischenmodelle zu veröffentlichen. Allerdings war schon mit dem zuständigen Verkehrsministerium in Berlin ein Kriterienkatalog ausgearbeitet worden, den man als Leitlinie bei der Bewertung künftiger Modelle heranziehen kann.
Folgende Kriterien sind danach von Bedeutung:
Ein weiteres Problem wird auch die Festlegung sein, wie lange sich der Erwerber einer solchen vergünstigten Wohnung binden muss, und wann und in welchem Umfang die Gemeinde die Rückforderung des Objekts oder eine Nachzahlung auf den Kaufpreis verlangen kann.
Fazit:
Leider hat die Europäische Kommission bis heute keine detaillierten und verbindlichen Kriterien für die Kommunen vorgegeben.
Bei den Gemeinderatswahlen im März 2014 haben viele bayerische Politiker versprochen, sich um Bauland für die einheimische Bevölkerung zu kümmern. Eine Reihe von Gemeinden hat schon in den letzten Jahren begonnen, Einheimischenmodelle zu initiieren und Richtlinien für die Vergabe von preisgünstigem Bauland für Einheimische festzulegen. Dabei wurden regelmäßig auch die Vorgaben berücksichtigt, wie sie sich aus der Entscheidung des EuGH vom 8.5.2013 ergeben.
Es bleibt zu hoffen, dass diese Initiativen bayerischer Kommunen nicht erneut durch eine Vertragsverletzungsrüge der Europäischen Kommission behindert werden.