Mit Urteil vom 19.02.2019 hat das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung zum Verfall des Resturlaubs mit Ablauf des Kalenderjahres nach § 7 Abs. 3 BurlG geändert. Anlass hierzu gaben – wie so oft – die luxemburgischen Kollegen vom Europäischen Gerichtshof. Jetzt aber erst einmal der Reihe nach
Nach § 1 BurlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Dieser Jahresurlaub muss nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BurlG im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Die Übertragung von Resturlaub in das nächste Kalenderjahr ist damit im Grundsatz verboten. Sprich: Nimmt der Arbeitnehmer seinen Urlaub nicht im laufenden Kalenderjahr, verfällt dieser mit Ablauf des 31.12. ersatzlos. Abweichendes gilt nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BurlG ausnahmsweise dann, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine Übertragung in das nächste Kalenderjahr rechtfertigen. In diesem Fall muss der Urlaub gem. § 7 Abs. 3 Satz 3 BurlG in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden.
Dringende betriebliche Gründe bestehen beispielsweise bei Abschlussarbeiten, erhöhtem Arbeitsbedarf, Messe, Urlaub oder Krankheit anderer Arbeitnehmer (Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, 17. Aufl. 2017, § 104 Rn. 92). Gründe in der Person des Arbeitnehmers sind alle aus den persönlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers folgenden Gründe (Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, 17. Aufl. 2017, § 104 Rn. 92). Hierzu gehört insbesondere die Arbeitsunfähigkeit, wobei die Arbeitsunfähigkeit dann kein persönlicher Grund ist, wenn sie zwar sehr lange Zeit andauert, aber im laufenden Kalenderjahr noch hinreichend Zeit für den Urlaub verbleibt (Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, 17. Aufl. 2017, § 104 Rn. 92).
Auf Basis dieser Gesetzeslage verfiel nicht genommener Urlaub nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unabhängig davon, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hatte, den Urlaub zu nehmen, nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahres, sofern kein Übertragungsgrund i.S.v § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG gegeben war. Der Europäische Gerichtshof hat jedoch mit Urteil vom 06.11.2018 entschieden, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein Arbeitnehmer, der keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, am Ende des Bezugszeitraums die ihm für das Kalenderjahr zustehenden Urlaubsansprüche automatisch verliert (vgl. EuGH, Urteil vom 06.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 ff.).
Nach Art. 7 der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass der Arbeitnehmer zumindest den bezahlten Mindesturlaub sicher nehmen kann. Dies sei nur gewährleistet, wenn der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür sorge, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt wird, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird (vgl. EuGH, Urteil vom 06.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 (1476)). Da § 7 Abs. 3 BurlG keine entsprechenden Anforderungen an den Verfall der Resturlaubstage zum Ende eines Kalenderjahres stellt, muss dieser nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unangewendet bleiben, sofern eine richtlinienkonforme Auslegung nicht möglich ist. Müsste § 7 Abs. 3 BurlG unangewendet bleiben, würde der Urlaubsanspruch von Arbeitnehmern grundsätzlich nicht mit Ablauf eines Kalenderjahres verfallen.
Im Hinblick auf diese drohende Rechtsfolge verwunderte es kaum, dass das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 19.02.2019 zu dem Ergebnis kam, dass das Bundesurlaubsgesetz eine richtlinienkonforme Auslegung von § 7 BUrlG zulasse. Danach treffe den Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Grundsätzlich könne der Urlaubsanspruch nach § 7 Abs. 3 BurlG nur dann verfallen, wenn der Arbeitgeber die aus der Initiativlast abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten – nämlich den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen – erfülle (BAG, Urteil vom 19.02.2019 – 9 AZR 423/16, NZA 2019, 977 ff.).
Nach der richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BurlG verfällt der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers mit Ablauf des Kalenderjahres also nur noch dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, seinen Urlaub zu nehmen und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt.
Fazit: Erfüllt der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten dagegen nicht, verfällt der Urlaubsanspruch für das jeweilige Urlaubsjahr unabhängig vom Vorliegen eines Übertragungsgrundes nicht mit Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres.
In diesem Fall tritt der am 31.12. des Kalenderjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1.1. des Folgejahres entsteht. Diese Initiativlast des Arbeitgebers ist nicht nur auf den originären Urlaubsanspruch im jeweiligen Kalenderjahr beschränkt, sondern bezieht sich auch auf Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren (LAG Köln, Urteil vom 09.04.2019 - 4 Sa 242/18, BeckRS 2019, 9979).
Die neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beansprucht nicht nur für den gesetzlichen Mindesturlaub, sondern grundsätzlich auch für den tarif- oder individualvertraglichen Mehrurlaub Geltung. Dieser folgt nämlich grundsätzlich den Bestimmungen über den gesetzlichen Urlaub, es sei denn, die Tarif- oder Arbeitsvertragsparteien hätten anderes vereinbart (Bayreuther, NZA 2019, 945 (948)). Diese können insbesondere bestimmen, dass der Vertragsurlaub ganz grundsätzlich mit dem Jahresende untergehen soll (Bayreuther, NZA 2019, 945 (948)). Für einen dahingehenden Regelungswillen der Parteien braucht es aber deutliche Anhaltspunkte im maßgeblichen Arbeits- bzw. Tarifvertrag (Bayreuther, NZA 2019, 945 (948)).
Haben die Arbeits- bzw. Tarifparteien im Vertrag niedergelegt, dass der vertragliche Mehrurlaub zum Jahresende untergehen soll, setzt der Verfall keine Unterrichtung des Arbeitnehmers über Umfang und den zum 31.12. drohenden Verlust seines Urlaubs voraus (Bayreuther, NZA 2019, 945 (948)). Im Bereich des Mehrurlaubs ist es alleine Sache der Vertragsparteien zu bestimmen, wann und unter welchen Voraussetzungen dieser wegfallen soll (Bayreuther, NZA 2019, 945 (948)).
Überprüfen Sie, ob in den vergangenen Jahren von Ihnen sämtliche Urlaubstage in Anspruch genommen wurden. Ist das nicht der Fall und hat der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheit nicht erfüllt (was im Hinblick auf die neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wohl so sein wird), können sich einige Urlaubstage angesammelt haben. Sie können damit möglicherweise Urlaubstage aus vergangenen Kalenderjahren noch beanspruchen. Dieser Umstand ist insbesondere auch dann von Interesse, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wird. In diesem Fall steht dem Arbeitnehmer nämlich gem. § 7 Abs. 4 BurlG ein Anspruch auf Abgeltung bestehender Resturlaubsansprüche zu. Dieser finanzielle Posten darf keinesfalls außer Acht gelassen werden.