Deutsches Arbeitsrecht im Lichte der EUGH-Rechtsprechung

Seit zehn Jahren krempelt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) das lange unangetastete deutsche Urlaubsrecht mächtig um.

Erinnert sei diesbezüglich an die großes Aufsehen erregende sog. „Schultz-Hoff-Entscheidung“ vom (Urt. v. 20.01.2009 –C-350/06-), durch die festgestellt wurde, dass der Jahresurlaub dann nicht einfach verfallen könne, wenn der Arbeitnehmer das ganze Jahr krank gewesen sei. Jahrzehntelang hatten die deutschen Arbeitsgerichte das anders gesehen.

Nachdem dann etwa drei Jahre lang bei den Arbeitgebern große Angst davor geherrscht hatte, dass ein jahrelang kranker Mitarbeiter möglicherweise horrende Urlaubsansprüche ansammeln könne, dämmten weitere Entscheidungen diese Rechtsprechung erfreulicherweise etwas ein. Urlaubsansprüche langzeitkranker Mitarbeiter sollen inzwischen fünfzehn Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen (vgl. u.A. EuGH, Urt. v. 22.11.2011 –C-214/10-; BAG, Urt. v. 18.09.2012 -9 AZR 623/10-).

Weitere, in der Instanzrechtsprechung durchaus unterschiedlich beurteilte, Entscheidungen folgten.

Aktuelle Entscheidungen des EuGH im Urlaubsrecht

Vor gut zwei Monaten hat der EuGH die vorerst letzten streitigen Fragen entschieden. Beide erweisen sich als höchst praxisrelevant.

Die Erlöschung von Urlaubsansprüchen

Zum Einen ging es um die Frage, ob der jährliche Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers automatisch am Jahresende oder spätestens zum 31.03. des Folgejahres erlischt. Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) musste ein Arbeitnehmer den Urlaub zumindest beantragen. Machte er dies, bekam ihn aber nicht, entstand ein sog. Ersatzurlaubsanspruch, letztlich also eine Übertragung aufs Folgejahr. Stellte er überhaupt keinen Urlaubsantrag, sollte der Urlaubsanspruch erlöschen (s. u.A. BAG, Urt. v. 24.03.2009 -9 AZR 983/07-). Diese Auslegung entsprach dem Wortlaut des § 7 III 1 BUrlG.

Nach einigen kritischen instanzgerichtlichen Entscheidungen sollte der Urlaubsanspruch aber auch dann nicht untergehen, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht explizit beantragt habe (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.06.2014 -21 Sa 221/14-; LAG München, Urt. v. 06.05.2015 -8 Sa 982/14-; LAG Köln, Urt. v. 22.04.2016 -4 Sa 1095/15-; Urt. v. 10.11.2016 -8 Sa 323/16-).

Der EuGH hat nun ein Machtwort gesprochen und an den Arbeitgeber erhebliche Anforderungen gestellt.

So sei er

„u.A. verpflichtet, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn –erforderlichenfalls förmlich- auffordert, dies zu tun, um ihm, damit sicherstellt ist, dass der Urlaub ihm noch die Erholung und Entspannung bieten kann, zu denen er beitragen soll, klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird. Die Beweislast trägt insoweit der Arbeitgeber.“ (EuGH, Urt. v. 06.11.2018 –C 684/16-).

Alle Arbeitgeber sind nun also gehalten, entsprechende Hinweise und Aufforderungen an ihre Mitarbeiter möglichst rechtssicher zu erteilen. Ansonsten wird der Urlaubsanspruch übertragen.

Die Vererblichkeit von Urlaubsabgeltungsansprüchen

Zum Anderen ging es um die Frage der Vererblichkeit von Urlaubsabgeltungsansprüchen, also darum, ob der oder die Erben eines Mitarbeiters nach dessen Tod einen finanziellen Ausgleich für den noch offenen Urlaub erhalten können. Lange wurde diese Frage mit Hinweis auf die Höchstpersönlichkeit des Urlaubsanspruchs verneint. Teilweise wurde danach unterschieden, ob das Arbeitsverhältnis bereits beendet oder der Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis verstorben sei.

Der EuGH hat auch hier in einer weiteren wichtigen Entscheidung vom gleichen Tage sehr im Sinne der Arbeitnehmer bzw. dessen Erben geurteilt. Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung entstehe auch dann, wenn der Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis versterbe. Die Urlaubsauszahlung könne dann von den Erben geltend gemacht werden (EuGH, Urt. v. 06.11.2018 –C-569/16-).

Diese Rechtsprechung könnte zu einer nicht unerheblichen Mehrbelastung für die Arbeitgeber führen.



Stand: 25.01.2019